Ricarda Hirte
Universidad de Córdoba
Fecha de recepción: 04.02.2024 Fecha de revisión: 10.02.2024 Fecha de aceptación: 24.02.2024
Zusammenfassung: Wenn man von interdisziplinären Bereichen spricht, wird oft die Literatur von der Psychoanalyse getrennt, obwohl sich bei den meisten Literaturinterpretationen beide bedingen. Eine besondere Verbindung gehen beide in der Fantastischen Literatur ein, wobei der Blick auf die psychische Kartographie des Autors freigelegt wird, die sich im Werk in den fantastischen Elementen äußert. Gegenstand der Untersuchung ist Freuds Schrift Der Dichter und das Phantsieren, das auf Hoffmanns Novelle Das öde Haus sowohl unter psychoanalytischen wie literaturtheoretischen Aspekten angewendet wird.
Abstract: When speaking of interdisciplinary fields, literature is often separated from psychoanalysis, although in most interpretations of literature the two are mutually dependent. A special connection is made between the two in Fantastic Literature, where the view of the author's psychic cartography is uncovered, which is expressed in the work in the fantastic elements. The subject of the study is Freud's writing Der Dichter und das Phantsieren, which is applied to Hoffmann's novella Das öde Haus from both psychoanalytical and literary theoretical aspects.
Sumario: 0. Einleitung. 1. Fantasie als psychologischer Terminus. 2. Fantasie in der Literaturwissenschaft. 3. Das Fantastische in E. T. A. Hoffmanns Novelle Das öde Haus.
Der Dichter und das Phantasieren, eine Schrift von Sigmund Freud von 1908, ist der Ausgangspunkt der Überlegung, inwiefern die Psychoanalyse und die fantastische Literatur Begegnungen aufweisen. Die Fantasie als psychoanalytischer Begriff ist immer mit der Erfüllung eines unbewussten Wunsches verknüpft und kann sich in verschiedenen Erscheinungsformen manifestieren, so dass man ihre Äußerungsformen in bewusste und unbewusste Fantasie eingeteilt hat.
In der Literaturwissenschaft hingegen folgt die Fantasie und im Besonderen die Definition der fantastischen Literatur, anderen Parametern. Hier vor allem hat sich als eine Weiterentwicklung der Todorovschen Definition, die von Marianne Wünsch erwiesen, wonach die fantastische Literatur in einer narrativen Struktur erscheint, wobei neben dem fantastischen Element, dieses auch innerhalb des Erzählrahmens, eine Erklärung erhält. Es scheint, als wären beide Bereiche, Psychoanalyse und Literatur, hinsichtlich der Definierbarkeit der Fantasie, nicht so weit voneinander entfernt, wie es bei einer ersten Betrachtung erscheint.
Die Idee einer dialektischen Beziehung soll am Beispiel von E.T.A. Hoffmanns Novelle Das öde Haus von 1817 dargestellt werden. Hoffmann gilt innerhalb der fantastischen Literatur als der Initiator dieses Genres, ohne dass seinem Schreiben eine Definition zu Grunde lag, da diese erst viel später, eben durch das vermehrte Aufkommen von Texten dieses Stils, entstanden. So kann die Novelle einerseits unter den Gesichtspunkten der Psychoanalyse und andererseits unter der Definition der fantastischen Literatur gelesen werden und erstellen jeweils eine charakteristische Kartographie. Ob beide Lesarten sich kartographisch ergänzen oder sich gegenseitig abgrenzen, soll Gegenstand des Beitrags sein.
Bevor auf den Fantasiebegriff bei Freud näher eingegangen wird, soll zunächst die Definition der Fantasie, wie sie in der Psychoanalyse gebraucht wird vorangestellt werden. Hierfür dient das Nachschlagewerk Das Vokabular der Psychoanalyse von Laplanche und Pontalis, das in
verschiedenen Sprachen übersetzt wurde und ein erster Leitfaden innerhalb der psychoanalytischen Begriffe darstellt. Dort heißt es unter dem Eintrag Fantasie:
Imaginäres Szenarium, in dem das Subjekt anwesend ist und das in einer durch die Abwehrvorgänge mehr oder weniger entstellten Form die Erfüllung eines Wunsches, eines letztlich unbewussten Wunsches darstellt (Laplanche 1980: 388).
Demnach ist die Fantasie als psychoanalytischer Begriff immer mit der Erfüllung eines unbewussten Wunsches verknüpft und kann sich in verschiedenen Erscheinungsformen offenbaren, so dass man ihre Äußerungsformen in bewusste und unbewusste Fantasie eingeteilt hat. Die bewussten Fantasien sind mehr an die Person geknüpft, projektzieren sich mit der Erlebnis- und Vorstellungswelt des Fantasierenden und sind eher ichbezogen, so dass sie sich in Tagträumen äußern können. Die unbewussten hingegen haben einen manifesten Inhalt und rekurrieren auf die sogenannten Urfantasien. Laplanche (1980: 573) folgend sind typische Strukturen der Urfantasie solche, die mit dem intrauterinen Leben, den Urszenen, der Kastration und der Verführung in Zusammenhang stehen, die in der Psychoanalyse das Fantasieleben gestalten und unabhängig von der persönlichen Erfahrung des Subjekts ist. Bei Freud gehören die Urfantasien zu den Universalien, die einen phylogenetischen übermittelten Erbteil darstellen. Demnach sind die Urfantasien ein anthropologisch fundamentiertes Element und symbiotisch mit der Person verbunden.
Im deutschen Sprachgebrauch kontrastiert der Ausdruck der Fantasie mit der der Imagination, also der Vorstellungskraft. Dabei handelt es sich weniger um die philosophische Auslegung des Wortes, das sein Synonym in der Einbildungskraft findet und eng mit der aktiven Form des sich etwas vorstellen, also dem imaginären verbunden ist. Vielmehr geht es um die Schaffung imaginärer Räume, die der schöpferischen Kraft und Aktivität des Individuums unterliegen. Somit handelt es sich um das Beleben dieser Räume durch den Akt des Fantasierens. Zu berücksichtigen ist, dass Fantasie auf den Gegensatz von Imagination und Realität verweist, wobei Realität im psychoanalytischen Verständnis mit der Wahrnehmung verbunden wird. Daraus ergibt sich eine erste Definition der Fantasie im psychoanalytischen Sinn: „Die Fantasie [ist] als eine rein illusorische
Produktion zu definieren, die einer korrekten Vorstellung vom Realen nicht standhalten würde (Laplanche 1980: 389). An dieser Stelle muss Freud angeführt werden, die den Begriff der Realität der voranstehenden Definition relativiert. Bei Freud ist die psychische Realität nicht gleich der Innenwelt oder psychisches Umfeld, sondern bezeichnet vielmehr einen heterogenen, resistenten Kern, der nur wirklich real ist, wenn man ihn mit den meisten psychischen Phänomenen vergleicht, bemerkt Laplanche (1980: 389). Denn in der Traumdeutung führt Freud folgende Überlegungen an:
Ob den unbewussten Wünschen Realität zuzuerkennen ist, kann ich nicht sagen. Allen Übergangs- und Zwischengedanken ist die natürlich abzusprechen. Hat man die unbewussten Wünsche, auf ihren letzten und wahrsten Ausdruck gebracht, vor sich, so muss man wohl sagen, dass die psychische Realität eine besondere Existenzform ist, welche mit der materiellen Realität nicht verwechselt werden soll. (Freud 1990: G.W., II/III, 625)
Daraus folgert Laplanche (1980: 390), dass Freud die typischen Fantasien, die sich mithilfe der Psychoanalyse aufdecken lassen, die Existenz unbewusster Schemata postulieren, die wiederum das individuelle Erleben transzendieren und somit vererbbar sind: die Urfantasien.
In der Psychoanalyse wird der psychischen Kraft eine besondere Funktion zugemessen, die sich in der topischen Stellung begrifflich artikuliert und die Fantasiebildung beeinflusst. Die topische Verortung in bewusste und vorbewusste oder unbewusste muss in Verbindung mit den verschiedenen Orten innerhalb des psychischen Apparats gelesen werden, die zur Kartographie des Individuums beitragen, also eine individuelle psychische Karte einer Person mit anthropologischem Erbgut erstellen. Daher sollte der Fantasiebegriff nach Freud auf verschiedenen Ebenen gelesen werden. Auf der einen Seite bezieht sich die Fantasie auf Tagträume, Szenen, Episoden, Romane, Fiktion, um einige zu nennen, die ein Subjekt im Wachzustand ersinnt. Auf der anderen Seite steht die mehr oder weniger unbewusste Fantasie, der zwar einer metapsychologischen Definition fehlt, aber wichtig im Zusammenhang der Hysterie und den Tagträumen ist. Der Begriff der unbewussten Fantasie drückt unterschwellige, vorbewusste Tagträume aus, dem sich ein Subjekt hingibt und von dem es mehr oder weniger Kenntnis nimmt. In der Abhandlung Die Traumdeutung wird dieser Fantasiebegriff erweitert und mit dem Wunsch verknüpft. Dort erscheint die
Fantasie in einer Beziehung mit dem Unbewussten und ist der Ausgangspunkt des metapsychischen Vorgangs der Traumbildung. Freud kommt anhand seiner Studien zu dem Schluss, dass
Die unbewussten Phantasien entweder von jeher unbewusst gewesen [sind], im Unbewussten gebildet worden oder, was der häufigere Fall ist, sie waren einmal bewusste Phantasien, Tagträume, und sind dann mit Absicht vergessen worden, durch die „Verdrängung“ ins Unbewusste geraten. Ihr Inhalt ist dann entweder der nämliche geblieben oder er hat Abänderungen erfahren, so dass die jetzt unbewusste Phantasie einen Abkömmling der einst bewussten darstellt (Freud 1999: G.W., VII, 193).
Aber gerade die Verdrängung ist mit dem Wunsch gekoppelt und so ist es nicht erstaunlich, dass Freud immer wieder in seinen Schriften auf die Verbindung von Fantasie und Wunsch verweist. Der Wunsch rekurriert im Ursprung auf ein Befriedigungserlebnis, so stellt Freud fest, dass „das erste Wünschen ein halluzinatorisches Besetzen der Befriedigungserinnerung gewesen sein [dürfte]“ (1999: G.W., II/III, 604). Da allerdings die Beziehung zwischen Wunsch und Fantasie komplexer ist und nicht einfach auf den Wünschenden zu reduzieren ist, seinen an dieser Stelle die wichtigsten Punkte nach Laplanche (1980: 393) anzuführen: Es handelt sich um Szenarien, die organisiert und meist visuell und dramatisch dargestellt werden. Ferner ist in diesen Szenarien das Subjekt immer präsent. Es wird dabei eine Szene inszeniert und kein vom Subjekt erstrebtes Objekt vorgestellt. Somit ist das Subjekt Teil der Szene und kann Rollen und Funktionen innerhalb derselben wechseln und übernehmen. Der Grad der Kompromittierung von Fantasie und Wunsch verweisen auf den Ort der Abwehroperationen, da diese unauflöslich mit der Fantasie verbunden sind und dessen Hauptfunktion die Wunschinszenierung ist.
Dies leitet über zu Freuds Schrift Der Dichter und das Phantasieren von 1908, das zudem die Brücke zwischen der Psychoanalyse und der Literatur bildet. Nach Freud ist der Dichter wie ein Kind, das im Spielen sich eine Welt erschafft. So führt Freud an, dass
jedes spielende Kind sich wie ein Dichter [benimmt], indem er sich eine Welt erschafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt. Es wären dann unrecht zu meinen, es nähme an der Welt nicht ernst; im Gegenteil, es nimmt sein Spiel sehr ernst, es
verwendet große Affektbeträge darauf. Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern – Wirklichkeit. (Freud 1999: G.W., VII, 214)
Da das Kind noch zwischen seinem Spiel und der Wirklichkeit unterscheidet, kann nach Freud nicht von einer Phantasiewelt gesprochen werden, da die Objekte und erfundenen Verhältnisse des Spiels an die Wirklichkeit, oder besser gesagt an die des Kindes sich umgebene Welt, anlehnt. In der Anlehnung ist der Unterschied zwischen Spiel und Fantasieren zu sehen. Der Dichter, aber, verhält sich wie das spielende Kind, nur das er seine Fantasiewelt, die er seinerseits auch mit großen Affektbeträgen ausstattet und sie gleich dem Kind sehr ernst nimmt, von der Wirklichkeit scharf abgrenzt. Freud sieht seine These des Spiels im Dichter in der Linguistik bestätigt, da im Deutschen Begriffe wie Trauerspiel, Lustspiel, Schauspieler, etc. gebildet werden, die sich auf die Inszenierung beziehen. So ist die Sprache selbst die Verbindung zwischen Spiel und poetischem Schaffen im Deutschen verankert. Mit dem Heranwachsen des Kindes verliert sich auch sein Spiel und mit ihm wird auf den scheinbaren Lustgewinn, den das Kind aus dem Spiel zog, aufgegeben. Da allerdings der Mensch auf nichts verzichten kann, sucht er einen Ersatz oder ein Surrogat, wie es Frus nannte: aus dem Spiel wird das Fantasieren. Der Tagtraum übernimmt die Oberhand und ersetzt das kindliche Spiel. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Freud in dieser Abhandlung nicht zwischen Tagtraum und Fantasie unterscheidet, wobei ein immanenter Unterschied zwischen beiden Begriffen sowohl in der Psychoanalyse wie in der Literatur zu finden ist. Vielmehr verbindet Freud die Fantasie und damit das Fantasieren mit dem Wunsch, und zwar mit einem unbefriedigten, denn
„jede einzelne Phantasie ist eine Wunscherfüllung, eine Korrektur der unbefriedigten Wirklichkeit“ (Freud 1999: G.W., VII, 216). Die Fantasie oszilliert somit in den drei Zeitmomenten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Die seelische Arbeit ist an einen aktuellen Eindruck in der Gegenwart geknüpft und verweist auf einen Wunsch in der Vergangenheit, meist aus der Kindheit, um dann in die Zukunft zu projektzieren, in der der Wunsch erfüllt wird. Die Zukunftsprojektion ist das Fantasieren als psychische Arbeit, das Freud folgendermaßen artikuliert: „Ein Anlass der Gegenwart wird benützt, um sich nach dem Muster der Vergangenheit ein Zukunftsbild zu entwerfen“ (Freud 1999: G.W., VII, 218). Auch wenn Freud anhand der Fantasie auf die Arbeit des Dichters verweist, und eine
Unterscheidung zwischen dem Epiker und Tragiker und denjenigen Autoren, die ihre Stoffe frei erfinden, zieht, stellt er heraus, dass alle einen Helden haben, der im Mittelpunkt des literarischen Stoffes steht und der Held es ist, den Freud als die „Majestät das Ich, den Helden aller Tagträume wie aller Romane“ (Freud 1999: G.W., VII, 220) erkort. Allerdings gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen dem Spiel des Kindes und der Arbeit des Dichters. Das Fantasieren des Erwachsenen ist mit Tabus belegt, es schreckt ab und der Tagtraum als Ausdrucksform der Fantasie wird verheimlicht. Der Dichter aber, benutzt sich dieser tabuisierten Tagträume und formuliert so um, dass sie eine literarische Einbettung erhalten. So verlässt die Fantasie das Tabu und artikuliert sich. So führt Freud (G.W., VII 223) an, dass „in der Technik der Überwindung jener Abstoßung […] die eigentliche ars poetica [liegt]“. Die Technik auf die Freud anspielt und dessen sich der Dichter bedient ist die Milderung der Charaktere des egoistischen Tagtraums seiner eigenen Fantasien durch Verhüllung und Abänderung, anstatt derer präsentiert der Dichter einen ästhetischen Lustgewinn, den Freud Verlockungsprämie oder Vorlust nennt. Es handelt sich dabei um die persönliche Weiterentwicklung der literarischen Präsentation, die jeder Leser nach seinem Muster beim Leser vollzieht. In der individuellen bildlichen Vorstellung der literarischen Vorlage versteckt sich der eigentliche Lustgewinn. Man könnte fast sagen, dass der Tagtraum des Dichters zu des Lesers eigenem wird und er mit seiner psychischen Energie diesen in sein Fantasieren umwandelt. Ein Indiz könnte die oft zu beobachtende Enttäuschung sein, wenn man die literarische Vorlage zum Beispiel verfilmt: Im Film manifestiert sich in der Regie, der Interpretation des literarischen Textes, die bildgewordene Fantasie des Regisseurs, die wiederum aus seiner psychischen Energie resultiert. Dies leitet über zu der Betrachtung der Fantasie in der Literatur.
Mit der Romantik ab Mitte des 18. Jahrhunderts artikuliert sich in Deutschland die Leidenschaft für das Schreckliche, Unerklärliche und Geheimnisvolle. Denn wurde während des Rationalismus Erklärungen für fast alle Phänomene gefunden, wurden diese, die sich der Erklärbarkeit entzogen, tabuisiert. Vor allem E.T.A. Hoffmann machte das Fantastische durch seine Erzählungen publik und man kann sagen, das er den
Grundstein der fantastischen Literatur im deutschsprachigen Raum legte: Hoffmann mischte das Fantastische mit der Realität, denn die Existenz einer unerkennbaren Entität im menschlichen Geist variiert, je nachdem, wie sie von einem Individuum wahrgenommen wird. So entsteht mit Hoffmann die Geistergeschichte oder die fantastische Geschichte in Deutschland als Antwort auf den philosophischen Idealismus, um die Realität der inneren Welt eines Subjekts dazustellen. Mit dem vermehrten Auftreten dieses, noch nicht als solchen definierten, neuen Literaturtyps, intensivierte sich auch die literaturtheoretische Auseinandersetzung mit der im Entstehen begriffenen neuen Genre. Auch wenn seit der Antike immer wieder auf die Fantasie Bezug genommen wurde und sich durchaus eine Fantasmagenese anstellen lässt, wie es Renate Lachmann (Lachmann 2002) mit Erzählte Phantastik beweist, fehlte eine entsprechende Definition und ein literaturtheoretischer Rahmen des Fantastischen, den Todorov erbringt. Verbleibt man einen Moment bei dem antiken Begriff der Fantastik, so kann er schon bei Aristoteles ausgemacht werden und ist von dem psychoanalytischen Konzept nicht weit entfernt. Denn in Aristoteles Traktat memoria et reminiscentia ist das phantasma Echtbild und Trugbild zugleich. Das heißt, dass zum einen etwas real Existierendes und sinnlich Erfahrenes, das als Abwesendes vergegenwärtigt wird, und zum andern etwas Nicht- Wahrgenommenes und Unmögliches, wirkungsästhetisch hervorgebracht wird. Dazu muss bedacht werden, dass Aristoteles den Menschen in fünf Bewusstseinsinhalte aufgeteilt hat, die den Sinnesorganen entsprechen. Diese verweisen auf den Gemeinsinn. Die Bewusstseins Inhalte verschwinden nicht mit dem Aufhören des Sinnesreizes, sondern halten oft an, und darin besteht dann die Vorstellung, das phantasma. Im Gedächtnis wird das phantasma analysiert, modifiziert und strukturiert: Das Echtbild wird zum Trugbild und umgekehrt, eine Leistung des Zusammenwirkens von Rezeption und Reproduktion. Dieser Antagonismus findet sich in der rhetorischen Figur des simulacrum, das als ein Äquivalent für den aristotelischen Begriff phantasma gelesen werden kann und sich auf ein wirkliches oder vorgestelltes Etwas referiert, denn der Begriff konnotiert sowohl Bild und Abbild wie Spiegelbild, Traumbild und Trugbild, das sich in der Psychoanalyse als Tagtraum und Fantasie begrifflich etabliert (Hirte 2012: 55-56). Das Fantastische in der Literatur kann sich vor allem als eine andere Ausdrucksform und Antwort auf Krisenzeiten verstanden werden.
Denn gerade in Zeiten des Umbruchs, das heißt in Krisensituationen, wo das Alte nicht mehr sicher und das Neue noch nicht greifbar ist, lässt sich das Fantastische oder die Phantasie als neue Ausdrucksform in der Literatur beobachten. So ist es nicht verwunderlich, dass das Fantastische in der Literatur vermehrt zu der Zeit Schlegels und um die Jahrhundertwende vom
19. Jahrhundert zu finden ist. Und gerade ihr letztes vermehrtes Auftreten fällt mit der neuen Disziplin der Psychoanalyse zusammen. Wenn Freud feststellt, dass „Kunstwerke der Psyche eines Künstlers entstammen, psychologische Fragestellungen also zu Recht an sie herangetragen würden“ (Leiß/Stadler 1997: 36), bestätigt dies nur umso mehr, dass die Psychoanalyse und die Literatur der Moderne sich einander bedingen. Vor dem Hintergrund einer solchen Annahme gewann das vereinsamte Ich, das aus der Realität heraustrat und versuchte ein neues Weltbild zu schaffen, an Bedeutung, indem dem Unbewussten Raum gegeben wurde.
Unabhängig von dem Auftreten der Fantasie oder den fantastischen Ereignissen innerhalb einer literarischen Struktur, die eine Person erlebt, fehlte eine literaturtheoretische Definition des Fantastischen, die Todorov (Todorov 1972) erbrachte. Indem er alle bisher erbrachten Theorieansätze bündelte, kam er zu dem Schluss, dass ein Phantasma demnach ein Ereignis ist, das in die Wirklichkeit einbricht. Es wird innerhalb eine Literaturtyps von einer Person als etwas Merkwürdiges und Befremdetes aufgefasst, das die Person nicht zu entschlüsseln weiß – das Phantasma wird also je nach dem Grad seiner Kompromittierung in der Kategorie des Unheimlichen oder Wunderbaren verortet. Durch die Einbeziehung des Lesers hebt Todorov das fantastische Element aus dem literarischen Kontext heraus und verschiebt seine Rezeption auf den Leser, indem es nun ihm obliegt es zu dechiffrieren und für seine Existenz eine Erklärung zu finden. Todorov (2013: 44) führt an:
Erst einmal muss der Text den Leser zwingen, die Welt der handelnden Person […] zu betrachten, und ihn unschlüssig werden zu lassen angesichts der Frage, ob die evozierten Ereignisse einer natürlichen oder einer übernatürlichen Erklärung bedürfen.
Durch die Beurteilung des Lesers und seiner individuellen Rezeptionsfähigkeit, die wiederum mit der eigenen Lebensgeschichte verknüpft ist, erhält das fantastische Ereignis in einem Literaturtyp keine
Definition, sondern bleibt auf der Rezeptionsebene, ohne theoretischen Rahmen. Es ist der Leser, der das Fantastische als solches erfasst oder nicht erkennt. Somit bleibt bei Todorov das Fantastische ein Etwas, was nicht textimmanent ist, sondern der Rezeption unterliegt.
Marianne Wünsch (Wünsch 2000) greift die Definition von Todorov auf, fügt aber neue Gesichtspunkte hinzu, so dass die fantastische Literatur in ihrem Charakter konkreter bestimmt werden kann. Vor allem fügt sie den Terminus der Historizität an, der bei der Bestimmung eines fantastischen Textes von Bedeutung ist, da nicht jedes fantastische Ereignis in seiner Historizität als solches verstanden wird. Somit kann definitorisch gesagt werden, dass das Fantastische in einer narrativen Struktur erscheint, die in verschiedenen Gattungen und Medien auftreten kann. Innerhalb einer spezifischen Struktur gibt es eine Figur, die das Phänomen wahrnimmt und eine Textinstanz die dieses zu erklären versucht. Das Phänomen kann, muss aber nicht einen Erklärungsversuch beinhalten. Des Weiteren ist das Phänomen nicht-realitätskompatibel, das heißt, dass es von der herrschenden Kultur als ein Etwas nicht wirklich Existierendes aufgefasst wird. Seine Präsenz rückt es zwar in die Möglichkeit der Realität, so dass das Phänomen als nicht völlig irreal betrachtet wird, kann aber nicht mit mimetischen Verfahrensweisen erklärt werden. Die Erklärung wäre dann im Bereich des Okkultismus zu suchen, der wiederum den Bereich des Tabus berührt. Für diese Annahme und Begründung des Fantastischen muss im Text eine Instanz vorhanden sein, die als Klassifikator der Realitätskompatibilität steht und impliziert oder explizit die Annahme bestätigt. Der Text darf außerdem keine Indikatoren enthalten, die das nicht- realitätskompatible Phänomen ins allegorische, parabolische oder zeichenhafte übersetzen könnte. Demnach liegt ein fantastsicherer Text vor, wenn neben der fantastischen Struktur oder Anlage des Textes auch in der Erklärbarkeit des Phänomens das Fantastische sich bestätigt oder im abgeschwächten Fall nicht ausgeschlossen werden kann oder ausgeschlossen ist (Hirte 2012: 98-99).
Betrachtet man nun die beiden erbrachten Definitionen des Fantastischen, die sich innerhalb der Psychoanalyse und der Literaturwissenschaft verorten lassen, so lässt sich folgendes sagen: In der Literaturwissenschaft folgt das Phantasma oder die Fantasie der Definition der der fantastischen Literatur wie sie von Todorov aufgestellt und von
Wünsch weitergeführt wurde. Sie unterliegen textimmanenten Parametern. Der Dichter oder Autor als Erzeuger dieser Texte bleibt dabei unberücksichtigt, was bei der psychoanalytischen Definition ausschlaggebend ist. Das Phantasma in der sogenannten fantastischen Literatur erscheint immer innerhalb einer narrativen Struktur, wobei neben dem fantastischen Element dieses auch innerhalb des Erzählrahmens eine Erklärung erhält. Es scheint aber, als wären beide Bereiche, Psychoanalyse und Literatur, hinsichtlich der Definierbarkeit der Fantasie oder des Phantasmas, nicht so weit voneinander entfernt, wie es bei einer ersten Betrachtung erscheint, da sich nämlich als Ergänzung, der Autor als Produzent des fantastischen Textes, in seinem Spiel sich seiner eigenen Fantasien demaskiert. Geht man einen Schritt weiter, ist es auch am Leser, der sich auf die Fantasien des Autors einlässt und die Phantasmen mit seiner eigenen psychischen Energie belädt.
Die Idee einer dialektischen Beziehung zwischen Literatur und Psychoanalyse soll am Beispiel von E.T.A. Hoffmanns Novelle Das öde Haus von 1817 dargestellt werden, das mit anderen Novellen unter dem Namen Nachtstücke veröffentlicht wurde. Hoffmann gilt, wie bereits kurz angedeutet, innerhalb der fantastischen Literatur als der Initiator dieses Genres, ohne dass seinem Schreiben eine Definition zu Grunde lag, da diese erst viel später, eben durch das vermehrte Aufkommen von Texten diesen Stils, entstand. Die Novelle kann daher einerseits unter den Gesichtspunkten der Psychoanalyse und andererseits unter der Definition der fantastischen Literatur gelesen werden. So führt Hoffmann (2004:124) den Leser in die Thematik mit folgendem ein:
Aus Eberhards Synonymik mußt du wissen, daß wunderlich alle Äußerungen der Erkenntnis und des Begehrens genannt werden, die sich durch keinen vernünftigen Grund rechtfertigen lassen, wunderbar aber dasjenige heißt, was man für unmöglich, für unbegreiflich hält, was die bekannten Kräfte der Natur zu übersteigen, oder wie ich hinzufüge, ihrem gewöhnlichen Gange entgegen zu sein scheint .
Hoffmann gibt am Anfang der Novelle eine mögliche Erklärung und Unterscheidung zwischen wunderlich und wunderbar, Wörter, die später in
den verschiedenen Definitionsansätzen zur fantastischen Literatur theoretisiert wurden. Interessant ist bei Hoffmann aber, dass er das Wunderliche mit der Erkenntnis, ein eher philologisch und philosophisch zu verstehendes Konzept, mit dem Begehren, eher im psychoanalytischen Kontext, verbindet. Somit wären psychoanalytische, philologische und philosophische Erkenntnisse immer im Bereich des Wunderlichen angesiedelt und damit aus der wissenschaftlichen Diskussion herausgelöst. Zwar sind diese Erkenntnisse für den Menschen rational erfassbar, bleiben aber, was die Erklärbarkeit betrifft, gleichermaßen unfassbar. Das Wunderbare hingegen verortet Hoffmann in den Bereich, der außerhalb der Vorstellungskraft des Menschen liegt. Es kann nicht erklärt werden. Doch die Erklärbarkeit ist an Kultureme geknüpft, die sich je nach kulturellem Umfeld verändern und anpassen können. Somit wäre auch das Wunderbare erklärbar, wenn es in andere Kontexte gesetzt würde, die anderen Parametern folgen. Diese Überlegung würde aber hier zu weit reichen, daher sollte bei der Unterscheidung von Hoffmann darauf verwiesen werden, dass das wunderliche eine Erklärung finden kann, auch wenn es zuallererst keinen vernünftigen Erklärungsgrund gibt. So führt Hoffmann (2004: 124) weiter an, dass „[es] aber gewiß ist, daß das anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sproßt, und daß wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blättern und Blüten hervorsprossen“ und verbindet das Wunderliche mit dem Wunderbaren wieder. Die Erklärung beider Begriffe ist daher im Bereich der Philologie, der Philosophie und der Psychoanalyse angesiedelt. Letzterer Bereich war in der Zeit von Hoffmann kein wissenschaftlicher, gehörte aber in Teilbereichen zu den erstgenannten und stand im Interesse der romantischen Schriftsteller.
Man rufe sich kurz den Inhalt der Novelle ins Gedächtnis: Theodor ist zu Besuch in einer Stadt, in der ihm ein altes Haus auffällt. Man sagt ihm, dass es sich um die Wirtschaftsräume der angrenzenden Konditorei handelt und unbewohnt ist. Trotzdem sieht er hinter den Vorhängen, dass dort eine junge Frau wohnen muss, und ihre Existenz beschäftigt ihn fortan. Er erfährt, dass dort nur ein alter Diener lebt und dass das Haus der Gräfin S. gehört. Als Theodor sich einen Taschenspiegel kauft, wird die junge Frau aus dem Haus sein Begleiter, denn, er sieht sie nicht nur durch den Spiegel, wenn er das Haus beobachtet, sondern er sieht sie auch in ihm und sie
bemächtigt sich seiner Träume. Erst als er auf einer Abendgesellschaft die Bekanntschaft einer Frau macht, die der im Spiegel vergleichend ähnelt, kommt er der Erklärung näher: Im öden Haus lebt die wahnsinnig gewordene Gräfin Angelika, deren uneheliche Tochter, die sie mit ihrem Liebhaber Graf von S. hatte, von ihrer Schwester Gabriele großgezogen wurde. Diese wiederum war die Ehefrau des Grafen. Nach dem Tod des Grafen verfiel Angelika in eine Art Geisteskrankheit und lebt seitdem mit einem Diener in diesem Haus, der ihre Wahnsinnsausbrüche zu bändigen versucht.
Die Novelle erscheint in einem doppelten Erzählrahmen, wobei sich in der Binnenhandlung die fantastische Struktur zeigt. Diese Erzählweise ist nicht nur wichtig, um das Fantastische hervorzuheben, sondern es verweist auch auf innerpsychische Strukturen, das heißt im vorliegenden Fall, dass der Erzähler, der eine Geschichte im Freundeskreis erzählt, sein Erlebtes mit seiner psychischen Energie belegt. Die doppelte Struktur rückt die fantastischen Elemente in eine mögliche Realität, da der Erzähler aus dem ersten Rahmen als eine psychisch stabile Person vorgestellt wird, der zwar ein Gespür für sonderbare Ereignisse oder Begebenheiten hat, aber nicht zu Halluzinationen neigt. So begründet Franz, ein Freund dieses Kreises, dass
„viele sind berufen und wenige auserwählt! Glaubst du denn nicht, daß das Erkennen, das beinahe noch schönere Ahnen der Wunder unseres Lebens manchem verliehen ist, wie ein besonderer Sinn?“ (Hofmann 2004: 122). Damit werden fantastische Erlebnisse in den Bereich des Möglichen erhoben und durch die Novelle selbst begründet. Dies bestätigt sich auch in der Definition des Fantastischen nach Wünsch, die die Phantasmen in subjektive und objektive eingeteilt hat. Im Weiteren werden auf zwei Elemente näher eingegangen, um sie literarisch und psychoanalytisch zu erklären: der Spiegel und das Haus.
Sowohl in der Literatur wie auch in der Psychoanalyse hat der Spiegel eine besondere Bedeutung, die in Verbindung mit der Überwindung von Schwellen und der Selbstfindung stehen. So muss bei der Überlegung genauso die Spiegelphase von Lacan berücksichtigt werden, wie das Augenmotiv. Der Protagonist Theodor versteht nicht, ob die Träume um das öde Haus real oder irreal sind, da sein Geist wirklich Erlebtes mit Erzählungen der Nachbarn des Hauses vermischen und zu einem Konstrukt wird, in dem sich die Realitätsebenen komplementieren und zu einer
eigenen Realität wird. So sind die Träume und Alpträume die Theodor hat reale Phantasmen, bleiben jedoch auf ihn begrenzt, so dass es sich um subjektive handelt: Er hat die junge Frau im Haus gesehen, obwohl er sich durch die Erzählungen der Anwohner bewusst ist, dass das Haus verlassen ist. Die Phantasmen mischen sich im Verlauf der Erzählung mit den objektiven, die sich vor dem Protagonisten manifestieren und nur für ihn erfahrbar sind, denn er sieht nicht nur die junge Frau, sondern er kommuniziert mit ihr. Der Protagonist bewegt sich fortan in zwei Welten, der irrealen und der realen und überschreitet dabei Grenzen. Im Text werden Hilfsmittel für die Darstellung der Transzendenz benötigt, dessen Symbol der Spiegel ist. Theodor erinnert sich an die Worte seiner Wartfrau, als er zunehmend mit der Frau und ihrem Spiegelbild in Kontakt tritt:
„wenn Kinder nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes, garstiges Gesicht heraus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen“ (Hoffmann 2004: 137). Diese Warnung aus Theodors Kindertagen, die im psychoanalytischen Sinn sehr eng mit dem Begriff der Spiegelphase von Lacan steht1, wird für ihn nun zur schrecklichen oder besser gesagt süßen Gewissheit, denn er muss sich zugestehen, dass es ihm war „als lähme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr würde abwenden können von dem Spiegel“. Hoffmann 2004: 136-137). Allerdings mischen sich für Theodor die Ereignisse und er kann zwischen der Irrealität und der Realität nicht mehr unterscheiden. Die Grenze zwischen beiden Welten wird immer diffuser und damit er sich nicht ganz in der Transzendenz auflöst, benennt Theodor in seiner Erzählung diesen erlebten Moment mit einem
„Seelenzustand“, den ihn „hätte ins Verderben stürzen können“ (Hoffmann 2004: 137). Die Erfahrung seiner Kindheit hat ihn belehrt, dass der Kontakt mit seinem Unbewussten ihn in tiefe Krankheit stürzt, die wiederum ein Indiz dafür ist, dass es sich um ein fantastisches Element handelt, da es eine Zäsur darstellt. Traum und Krankheit sind eine Grundvoraussetzung, damit das Fantastische und das Unbewusste hervortreten, denn sie weisen auf den
1 Mit der Spiegelphase beschreibt Lacan die erste ganzheitliche Sicht des Kindes, wenn es sich im Spiegel betrachtet und ist für die Herausbildung des Ichs von Bedeutung. In dem Moment der Bewusstseinsmachung des eigenen Ichs, löst sich das Kind aus der mütterlichen Symbiose. Ab diesem Moment konstruiert das Kind seine Identität, ausgelöst durch sein sich reflektierendes Selbstbild. Eine entscheidende Phase in der Konstituierung der Ichfunktionen.
Bruch hin, die schmale Grenze zwischen beiden Welten, die sich im Symbol des Spiegels verbildlicht. Doch der Spiegel hat in der Psychoanalyse noch eine weitere Funktion: Es ist ein Element des Voyeurismus., beobachten, ohne beobachtet zu werden, sofern der Spiegel sich im Licht nicht reflektiert. Für Theodor bedeutet dies, dass er auf der einen Seite in eine magische unbewusste Welt eintaucht und zugleich sich seiner eigenen verdrängten Fantasie stellt und mit ihr der des Autors. Denn „oft, wenn jenes Bild ganz verblasst war, ergriff mich ein körperliches Übelbefinden“ (Hoffmann 2004: 137) weist auf diese mehrfache Konnotation des Spiegels hin: die Transzendenz, das Unbewusste, die Fantasie des Protagonisten und des Autors.
Das Haus ist ein weiteres fantastisches Element in der Erzählung: Es steht für Symbolismus und Metapher. Es ist eine Herberge, das beschützen oder beängstigen kann. Bei Hoffmann ist es der Ort der Anziehung. Nach langem Zögern tritt Theodor in da Haus, um zu ergründen, ob seine Visionen und Träume der Realität oder Irrealität entspringen. Er hatte
„Angst und Ungeduld“ (Hoffmann 2004: 146), um die Wahrheit zu erfahren und nichts konnte ihn davon abhalten, in das Haus einzutreten, der Ort, wo beide Welten und die psychische Energie wohnen. Theodors Zweifel aber wurde gelöst, als „ein langer, schneidender, aus weiblicher Kehle strömender Ton durch das Haus“ (Hoffmann 2004: 146) gellt und „eine hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern hervorleuchtet“ (Hoffmann 2004: 146). Der Protagonist assoziiert diese mit der Frau, die er hinter dem Fenster gesehen hatte, doch als er in das von „Alter und Wahnsinn grässlich verzerrte Antlitz starrte“ (Hoffmann 2004: 146), versteht er, dass das Gesicht zu dem, das er im Spiegel sah, gehört. Der Spiegel und das Haus vermischen sich zu einer eigenen Geschichte, die dem Protagonisten die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft offenlegt und von Liebe und Wahnsinn, von verlorener Jugend, Sehnsucht und innerer Welt berichtet. Theodor kann das Erlebte als Selbstanalyse oder aber als eine einfache Geschichte verstehen, doch auch ihm wird klar, dass sich alles nur in der Abgeschlossenheit des Hauses ereignen konnte. Denn bei jeglicher Interpretation, ob literarisch oder psychoanalytisch ist der Verwalter des Hoffmann’schen Hauses, der Einzige, der die Grenze zwischen Haus und Umgebung überschreiten kann, ohne das Gefüge in Gefahr zu bringen. Dieser Hüter des Hauses übernimmt die Verbindung zwischen Literatur und Psychoanalyse, von Protagonist und
Autor, von Realität und Irrealität und von Spiel und Wirklichkeit. Denn bei genauerer Betrachtung ist der psychoanalytische Begriff der Fantasie und der literaturtheoretische der Fantastik in der Kartographie des Dichters angelegt, die auf unerfüllte Wünsche hinweist und den Leser mit in seine Tagträume nimmt und ihm Raum zum eigenen Fantasieren lässt.
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